Den FC St. Pauli erreichte in den vergangenen Tagen ein Schreiben, das bisher beispiellos ist: Die Polizei Hamburg verbietet es dem Verein mit einer Unterlassungsverfügung, Karten für die Begegnung St. Pauli gegen Hansa Rostock an Fans des Gastvereins zu verkaufen. Damit greift die Polizei erstmals direkt in das Ticketing der Vereine ein und schließt hunderte friedliche Fußballfans als präventive Maßnahme aus. Bisher waren Fanausschlüsse lediglich als Verbandsstrafe nach wiederholten Vorfällen ausgesprochen worden.
Dass die Polizei nun den kollektiven Ausschluss über Einschränkungen der Kartenverkäufe initiiert, erreicht eine neue Dimension des Eingriffs in die Rechte aller friedlichen Fußballfans sowie in den Wettbewerb im Ligensystem. Sollte sich diese Praxis als legitimes Mittel etablieren, könnte Vereinen reeller wirtschaftlicher Schaden entstehen, der außerhalb ihres Einflusses und außerhalb des Einflusses der Verbände steht. Der Konflikt zwischen Polizei und Fans droht sich hierdurch ebenfalls weiter zu verschärfen, zumal im Vorfeld der Verfügung keinerlei Gespräche geführt wurden, um mit den am Spieltag beteiligten Vereinen, den Verbänden oder mit Fanorganisationen mögliche Maßnahmen zu diskutieren.
Unsere Kurve verurteilt dieses Vorgehen und den präventiven Kollektivausschluss von Gästefans. Die bundesweit aktive Fanorganisation äußerte sich hierzu heute mit einer Pressemitteilung, die wir als Mitglied von Unsere Kurve in vollem Umfang unterstützen:
Fanvertreter üben scharfe Kritik am Gästefan-Verbot
Die IG „Unsere Kurve“, die als größte organisierte Fanvertretung in Deutschland mehr als 300.000 Fußballfans vertritt, hat mit großer Sorge die Meldung zur Kenntnis genommen, dass die Polizei in Hamburg eine Unterlassungsverfügung ausgesprochen hat, die dem FC St. Pauli untersagt, Eintrittskarten an Fans des FC Hansa Rostock für die Begegnung der beiden Zweitligisten zu verkaufen. Die bundesweit aktive Interessengemeinschaft, die aktuell 13 verschiedene Fanabteilungen miteinander vereint, verurteilt das Vorgehen der Polizei und sieht darin die Gefahr, dass ein solches Verbot zukünftig als „Problemlösung“ auch bei anderen vom DFB angesetzten Sicherheitsspielen angewendet wird.
Dieser Vorstoß, dem keinerlei Informationen an die betroffenen Fanprojekte oder den ausrichtenden Verein vorausgingen, ist aus Fansicht ein Vorgang, der keinesfalls zu akzeptieren ist. Die IG Unsere Kurve versteht das Vorgehen der Polizei als eine unüberlegte Aktion, die selbst den DFB und die DFL überrascht haben und unterstützt den Rechtsweg, den der FC St. Pauli eingeschlagen hat. Für unangemessen bewerten wir auch die dadurch wiederholte pauschale Verurteilung einer ganzen Fanszene, die schon in der Vergangenheit in Sippenhaft genommen wurde. Mit diesem Schritt kriminalisiert die Polizei eine große Zahl an Fußballfans und überschreitet eine Grenze im Namen der Sicherheit, die weit über die Kompetenzen dieser exekutiven Gewalt hinausgeht. Wir erwarten deshalb, dass die Judikative ihrer staatlich-demokratischen Verantwortung gerecht wird und den Plan der Polizei stoppt.
Die IG Unsere Kurve bedauert, dass der Dialog mit den Fans und Vereinen auf diese Art und Weise dem populistischen Vorgehen und pauschalisiertem Durchgreifen in die Handlungsoptionen von Vereinen und Verbänden zum Opfer fällt und das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Fußballfans und Polizei keinesfalls entschärft. Eine differenzierte und angemessene Vorgehensweise unter Einbeziehung aller Beteiligten zu suchen, war trotz zahlreicher positiver Erfahrungen an anderen Bundesligastandorten in Hamburg nicht das Ziel der polizeilichen Unterlassungsverfügung. Es ist zu begrüßen, dass Maßnahmen gesucht werden, die die Sicherheit der Stadionbesucher erhöhen und Konflikte zu vermeiden geeignet sind. Dies jedoch ohne Einbeziehung der am Spieltag direkt beteiligten Vereine und Fanbetreuungsorgane; im vollen Bewusstsein, dass hunderte friedliche Fußballfans in Mitleidenschaft gezogen werden und noch dazu mit einem massiven Eingriff in die Vermarktungsrechte des gastgebenden Vereins anzustreben, verurteilen wir als unverhältnismäßig und unangemessen.
Festzustellen ist zudem, dass die staatliche Exekutive auf dieser Ebene uneinheitlich agiert und starke regionale Unterschiede in der Zusammenarbeit mit der Polizei zum Vorschein kommen. Als Vertreter der Fans hat die IG Unsere Kurve deshalb eine klare Position im Hinblick auf die Frage, wie aktuelle Problemlagen und Gefahrensituationen rund um ein Fußballspiel, dass in der Vergangenheit von negativen Begleiterscheinungen geprägt war, gelöst werden – nämlich ausschließlich durch dauerhaften Dialog zwischen allen Beteiligten und nicht durch präventive Repression und Gästefan-Verbote. Im Sinne aller von uns vertretenen friedlichen Fußballfans und Vereinsmitglieder fordern wir eine Rücknahme der Unterlassungsverfügung und eine Stärkung der friedlichen Fußballfans statt deren Ausschluss aus dem Stadion.
IG Unsere Kurve im März 2012